Familiengarten-Artikel in den St. Galler Nachrichten
Wo der Hilfsarbeiter den Lehrer führt
Text und Fotos: Assunta Chiarella / St.Galler Nachrichten
Ersatzareal Von 18 Arealen liegen in St.Gallen 11 in der Grünzone. Sieben hingegen können durch Bauprojekte ganz oder teilweise verdrängt werden. Urs Hertler, Präsident des FGV Dreilinden, kennt die Situation und korrigiert die Wahrnehmung von aussen, nämlich: «Dass Famliengärtnerinnen- und gärtner nicht mit allen Mitteln einen möglichst grossen Ertrag suchen, sondern dass sie auch ein Stück Natur innerhalb der Stadt pflegen.» Sie würden aber auch das Spannungsfeld sehen, in welchem die Politik stehe: «Verdichtung nach innen, damit das Stadtrandgebiet frei bleiben kann, ist eine aktuelle Forderung, die für uns auch negative Auswirkungen hat und der wir Familiengärtner kritisch gegenüberstehen», argumentiert Hertler.
Nun werden Taten gefordert.
Mit dem Richtplan von 2012 werden die Familiengärten als wichtige Grünräume und Freizeiteinrichtungen anerkannt. Entsprechend soll die Gartennutzung nachhaltig gesichert werden. So sollen einzelne Areale, die sich in der Bauzone befinden, sechs neue Standorte erhalten: «Den Worten müssen jetzt Taten folgen», betont Hertler dazu und verweist auf ein Ersatzareal, das in nächster Zeit bereitgestellt werden soll: «Das muss keine Luxuslösung sein. Die zukünftigen Gärtner können auch in den Aufbau miteinbezogen werden», meint der Präsident. Doch man dürfe sich keine falschen Vorstellungen machen: «Wenn ein Areal aufgehoben wird, wird ein kleinerer Teil der 'alten' Pächter umziehen. Die ganzen Umtriebe und notwendigen Investitionen halten Gärtnerinnen und Gärtner, die schon ein bestimmtes Alter haben, von einem Umzug ab.» Ein neues Areal würde aber auch grosse Chancen eröffnen: «Die aktuellen Areale sind weitgehend traditionell organisiert. Neue, junge Gärtnerinnen und Gärtner haben neue Ideen. Diese können in einem neuen Areal besser umgesetzt werden», hofft Hertler. Nachdem er mehrere Jahre im Vorstand war, ist er seit Februar 2012 Präsident des FGV Dreilinden. Das Amt bringe schon einiges an Mehrarbeit, zumal er auch noch im Vorstand des Zentralverbandes der St.Galler Familiengärten tätig ist: «Es ist aber auch befriedigend,wenn man mithelfen kann, ein sinnvolles Freizeitangebot für die Bevölkerung zu unterstützen», hebt Hertler hervor und wirft gleichzeitig einen Blick über seine wundervollen Blumen in seinem Familiengarten, den er mit seiner Frau Monika seit rund 19 Jahren hegt und pflegt: «Meine Lieblingsblume ist der Sonnenhut. Meine Frau Monika liebt besonders die Hibiskusblüte.» Das ganze Areal umfasst an die 4300Quadratmeter. Der Familiengarten Hertlers gehört mit 170 Quadratmetern zu den grösseren: «Ich arbeite an die drei bis vier Stunden pro Woche. Hier sehe ich am Abend die Resultate meiner Anstrengungen,was mir eine grosse Befriedigung schenkt.» Und dies trotz der Rücken- und Handschmerzen: «Für meine Frau und mich ist unser Garten Erholung pur. Da wir nun beide pensioniert sind, sitzen wir öfters am Abend hier im Freien und philosophieren übers Leben.»
Grüne Inseln bewahren
Bei den Familiengärten sei ein Umdenkungsprozess im Gange. Vom früheren Intensivgärtnern stellen immer mehr Gärtnerinnen und Gärtner auf ein naturnahes Gärtnern um. «Molch, Kröte, Frosch und viele Arten von Vögel leben bei uns», beobachtet Hertler und fügt schmunzelnd hinzu: «Einer unserer Gärtner hatte junge Igel in einer Wurfbox, in einigen Nistkästen wurden sogar Vögel grossgezogen.» Man lerne mit dem Boden verantwortungsvoller umzugehen und nehme Einbussen bei der Ernte in Kauf. Damit verändere sich auch das Kaufverhalten, konkret: «Regionale Produkte anstelle von Importen aus Übersee», spezifiziert Hertler. Letzten Herbst hatte er ein eindrückliches Erlebnis, als er mit seinem dreijährigen Enkel die Kartoffeln ausgrub, die er im Frühjahr mit ihm gesteckt hatte: «Er freute sich darüber, dass er bereits etwas zur täglichen Ernährung der Familie beitragen konnte.» Wertvoll findet Hertler auch, wenn verschiedene Pächter gemeinsam Frondienst leisten, wie das Arbeiten an der vereinseigenen Infrastruktur: « Da zeigt beispielsweise der Hilfsarbeiter dem Lehrer, wie man einen Stellriemen ein betoniert, und der Bänkler erklärt dem Ausländer, wie in der Schweiz das Staatswesen funktioniert. Also Begegnungen, die sonst kaum entstehen würden.» Entsprechend seien laut Hertler Nationalität und sozialer Stand überhaupt kein Thema. «Die Familiengärten erfüllen verschiedenste Bedürfnisse quer durch die städtische Bevölkerung.» Präsident Hertler wünscht sich von den Behörden und der Öffentlichkeit die Erkenntnis: «Dass in vielen Familiengärten ein Beitrag zum Umweltschutz, zur Biodiversität und zur Umweltbildung geleistet wird.» Aus diesen Gründen sollen Familiengartenareale auch innerhalb von bewohnten Gebieten möglichst erhalten bleiben, oder dann mindestens an Lagen neu angelegt werden, die auf Jahre hinaus gesichert und nicht nur mit dem Auto erreichbar sind.